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Bolivien

Bolivien ist gesegnet von einer unvorstellbaren und atemberaubenden naturellen Vielfalt.
Im Westen des Landes liegt das Altiplano, die bolivianische Hochebene, welche Heimat der majestätischen Bergkette Cordillera Real ist und deren verschneite Gipfel mit bis über 6000 m über NN den Himmel schier zu berühren scheinen. Dünne Luft, trockene Erde und meist eisige Temperaturen kleiden die Felder in dörre Gräser, an denen sich Nutztiere (u.a. Lamas, Alpakas, und Schafe) der großteils landwirtschaftlich tätigen Bevölkerung erfreuen. Das nutritiv-revolutionäre Superkorn Quinua ist in den Höhen der Anden genauso beheimatet wie die indigenen Volksgruppen der Aymara und der Quechua, die schon seit vielen tausend Jahren diese Hocheben besiedeln und gemeinsam mit den Guaraní und rund 40 weiteren ethnischen Gruppen mehr als die Hälfte der bolivianischen Bevölkerung darstellen. Der geografisch tief gelegene Osten des Landes unterscheidet sich dabei so grundlegend vom Altiplano, dass man als Besucher leicht den Eindruck bekommt, in einem anderen Land zu sein. Neben sattgrünem tropischen Regenwald und schwül-warmem Klima erstaunen Wirtschaftskraft und oppositionelle Politik der Media Luna, des zunehmenden Halbmondes im Osten Boliviens, der sich von Pando und Beni über Santa Cruz bis runter nach Tarija erstreckt. Deutlich zu spüren ist der innenpolitische Konflikt zwischen Altiplano und Media Luna, dessen zentrale Ursache im kulturellen Unterschied der beiden Gebiete liegt. Neben begünstigenden klimatischen sowie geografischen Wirtschaftsfaktoren ist auch infolge der im Osten ansässigen wirtschaftsliberalen Oppositionshochburg dort ein materiell höheres Wohlstandsniveau aufzufinden als im Altiplano, dessen einst geldbringende Rohstoffquellen durch intensives Abtragen der Bodenschätze inzwischen nahezu erschöpft sind. Ebenso prägend wie der Niedergang des Bergbaus ist die Diskrepanz in der privaten Vermögensverwaltung zwischen den beiden Regionen. Die Cambas im Osten sind für ihre Konsumfreudigkeit bekannt und damit für einen starken Geldfluss verantwortlich, während die Collas, die Bewohner der Hochebene, häufig zu mehr Sparsamkeit tendieren und der Wirtschaft somit ihr Geld eher vorenthalten. Für eine differenzierte Betrachtung der Thematik wären an dieser Stelle natürlich noch viele weitere Phänomene wie zum Bsp. die innenpolitische Migration wohlhabender Bürger und Unternehmen, die Ansiedlung ausländischer Firmen und nicht zuletzt auch der Narcotráfico (der illegale Drogenhandel) und der Einfluss des aktuellen Präsidenten Evo Morales auf den regionalen Konflikt zu nennen und zu deuten. Da dies aber dem Rahmen meines Berichts sprengen würde, verzichte ich hier auf eine tiefergreifende Erörterung über die Ursachen der materiellen Wohlstandsunterschiede beider Regionen.
Ebenfalls spürbar ist die durch Morales wieder aktuelle Debatte mit Chile über den Meereszugang, den Bolivien im Salpeterkrieg vor gut 130 Jahren verloren hatte und durch Verhandlungen mit seinem Nachbarland jetzt unter größten Bemühungen versucht zurückzuerhalten. Nach bisher erfolglosen bilateralen Verhandlungen kämpft Morales inzwischen weiter vor dem internationalen Gerichtshof in Den Haag.
Ich selbst lebte während meines Freiwilligendienstes im Altiplano, genauer gesagt in La Paz und arbeitete in El Alto, das sich von Jahr zu Jahr mehr vom Armenviertel der Stadt La Paz hin zu einer eigenständigen Stadt entwickelt. Im Vergleich zu den meiner Auffassung nach eher extrovertierten und stolzen Latinos im Osten empfand ich die Aymara-stämmige Bevölkerung, deren Anteil in El Alto subjektiv 100% ausmacht, als verschlossen und ein Stück weit ängstlich gegenüber Fremden. 
Dies ist jedoch nicht ganz unverständlich, wenn man sich klarmacht, welches Ausmaß an Diskriminierung und gesellschaftlicher Unterdrückung die Indígenas infolge der spanischen Kolonialisierung haben ertragen müssen. Ich hatte außerdem den Eindruck, dass der Bevölkerungszusammenhang, also das verbindende Gefühl „Eins“ zu sein, besonders im Westen einen protektiven, sich selbst beschützenden Stil hat. Der für meinen Geschmack häufig übertriebene Nationalstolz wurde mir einmal als eine Art Emanzipation der Bolivianer gegenüber der Abwertung von allem bolivianischen als ursprünglich und minderwertig erklärt, das viele von privilegierten Gesellschaftsschichten und Nachbarvölkern erfahren mussten. Die Collas sind ferner ein traditionsreiches und naturverbundenes Volk. Ein Beispiel für letzteres ist die von den Quechua und den Aymara verehrte Pachamama, die omnipotente Göttin Mutter Erde, die regelmäßig mit Gaben geehrt wird. Dieser Brauch wurde mir auf humorvolle Art und Weise von dem ältesten meiner Gastbrüder beigebracht, als er eines Abends beim Feierabendbierchen-Trinken den ersten Schluck dem Teppichboden schenkte.
Ein weiterer wichtiger Bestandteil des bolivianischen Kulturkreises ist der traditionelle Konsum von Koka. Die getrockneten Blätter des Koka-Strauchs werden dabei meist entweder gekaut bzw. gelutscht oder als Mate de Coca getrunken. Während diese Produkte im Westen oft nur als Basis für Kokain verkannt sind, finden die Kräfte der Pflanze bei den Andenbewohnern schon seit tausenden Jahren heilende und stimulierende Verwendung. Ob als Aufputschmittel, zur Schmerzlinderung, oder gegen die Höhenkrankheit, die Wirkung ist trotz fehlender internationaler Anerkennung unbestreitbar.
Das bolivianische Volk, und vor allem das des Altiplanos, lernte ich als ein sehr protest- und revolutionsfreudiges kennen. Regelmäßig wird der Verkehr in einzelnen Departamentos oder auch mal das komplette Land lahm gelegt, bis Demonstranten und Regierung gemeinsam eine Einigung getroffen haben, was mitunter nicht immer schnell geht. Ob für Gehaltserhöhungen im Bergbau, zur Protestbewegung gegen die geplante Brücke am Titicaca See, im Zuge neuer Arbeitsregelungen für Ärzte oder für einen höheren staatlichen Rententarif, gestreikt wird fast jeden Monat. Damit die Regierung die Forderungen ernst nehme und etwas verändere, müssten die Streiks sehr umfangreich sein und in Folge dessen einen möglichst großen Personenkreis betreffen, erklärte mir meine Gastfamilie. Und so leiden nicht nur Privatpersonen und reisewillige Touristen sondern im Endeffekt die ganze Volkswirtschaft darunter, wenn die komplette Infrastruktur mal wieder lahm gelegt wird. Ist das wirklich nötig?
Mehr Sympathie empfinde ich den politischen Protesten gegenüber. In den letzten 100 Jahren hat sich die bolivianische Bevölkerung und insbesondere die Bewohner El Altos einigen Diktatoren und schamlosen Ausbeutern entgegen gestellt und dabei unter Einsatz ihres Lebens für ein freies und selbstbestimmtes Land gekämpft.
Bolivien ist in allen Hinsichten ein wahnsinnig facettenreiches Land und genau das ist seine Stärke. Ich habe Bolivien sehr schätzen gelernt und werde mich aufgrund meiner intensiven Erfahrungen ein Leben lang mit diesem wunderschönen Teil der Erde verbunden fühlen.